„Ich habe sehr viel gelernt“

„In welchem Café oder Geschäft ist die Luft rein?“ Diese Frage stellte sich Ulrich Schuster im Spätsommer 2020, als die Aerosol‑Forschung die ersten Ergebnisse vorstellte, die zeigten, dass sich das Virus vor allem über die Luft verbreitet. Minicontroller und Sensoren zu installieren und deren Betriebsdaten auf eine Plattform zu überspielen, schien eine technisch überschaubare Aufgabe. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jan Weil entwickelte er Clair‑System (für Clean Air) als Prototyp und begann, sich nach Projektpartner:innen umzuschauen. Heute heißt das Projekt COMo, wird von der Technologiestiftung durchgeführt, von der HTW Berlin wissenschaftlich begleitet und der Senatskanzlei Berlin gefördert. Wir sprachen mit Ulrich Schuster über die Projektentwicklung und sein Learning in den letzten zwei Jahren.

Ulrich Schuster, Quelle: KOING


Der Spätsommer 2020, als wir alle ungeimpft in den ersten Corona‑Winter gingen, liegt mittlerweile weit hinter uns – Gott sei Dank! Kannst du dich noch erinnern?

Ich kann mich noch sehr gut an die Situation erinnern. Wir liefen auf den zweiten, unabsehbar langen Lockdown zu. Die Diskussion konzentrierte sich auf geschlossene Räume und deren Belastung. Ich hatte mehr Zeit als sonst, weil auch meine Beratungstätigkeit vor dem Hintergrund der Pandemie nicht so stark nachgefragt war wie sonst und ich wollte unbedingt was tun. Bei Jan sah es ähnlich aus. Aus meiner Zeit bei Bosch, später zusammen mit Jan beim Berliner Startup Ubitricity und dann bei Softwarehaus im Gesundheitswesen habe ich viele Erfahrungen mit digitalen Lösungen gemacht. Raumluft digital zu überwachen, ist ja über Sensoren technisch nicht kompliziert.


So habt Ihr eigeninitiativ mit der Arbeit für Clair begonnen. Wie seid Ihr vorgegangen?

Jan und ich haben rund um das Thema recherchiert. Beispielsweise weiß ich heute, dass es in Berlin zwischen 40.000 und 50.000 öffentlich genutzte Räume gibt. Schnell hatten wir LoRaWAN als mögliche Funktechnik identifiziert sowie das von einer Community aus Freiwilligen betriebene LoRaWAN Netzwerk „The Things Network“ (TTN). Wir haben uns auch eine gute Übersicht über die mögliche Hardware verschafft. Diese ersten Schritte gingen sehr schnell. Innerhalb von zwei, drei Wochen waren wir wirklich klüger.

Für die Software‑Entwicklung kam noch Christian Rotzoll hinzu, den wir ebenfalls von Ubitricity kannen. Dann haben wir unsere Fühler nach möglichen Partner:innen ausgestreckt. Denn uns war klar, dass die technischen Themen nur ein Aspekt waren. Technik sinnvoll zu nutzen, ist deutlich komplizierter, aber über das CityLAB und Ben Seibel haben wir dann die richtige Anbindung bekommen.


Ihr konntet die Clair‑Plattform bereits im Winter online stellen. Damit war ein wichtiges Ziel erreicht. Doch dabei ist es nicht geblieben. Wieso nicht?

Ja, die Plattform ist online gegangen, zunächst mit 15 Sensoren, von denen 10 die Technologiestiftung und 5 das Hasso‑Plattner‑Institut zur Verfügung gestellt hatten.

Mit der Praxis kamen dann neue Fragen auf. Die Übertragung der gemessenen Werte auf die Plattform funktionierte nicht so zuverlässig wie wir uns das vorgestellt hatten. Während einige Sensoren permanent funkten, hatten wir an anderen Standorten zeitweise keine Messwerte. Das lag teilweise am freien TTN‑Netz, das leider nicht flächendeckend vorhanden ist. Aber es gab auch so erstaunliche Beobachtungen wie die, dass ein Gateway jeden Abend aus- und morgens wieder eingeschaltet wurde. Damit hatten wir nicht gerechnet.

Für mich ist eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Projekt, dass die Infrastruktur in der Stadt einfach noch nicht ausreichend ist, um solche IoT‑Anwendungen zuverlässig laufen zu lassen. Das Engagement der TTN‑Community ist sehr ehrenwert. Aber wenn das Land zuverlässige öffentliche Smart‑City Anwendungen bauen möchte, sollte es die dazu nötige Infrastruktur schaffen. Ein zuverlässiges, flächendeckendes und für Community‑Projekte freies IoT‑Netz wäre ein riesiger Innovations‑Booster für das Land.


Theorie und Praxis liegen ja manchmal etwas auseinander. Gab es auch andere Themen, die dich nach dem Launch nachhaltig beschäftigt haben?

Tatsächlich lief unsere Software stabil, die Architektur mussten wir nicht mehr grundsätzlich anfassen. Aber die technisch angelegten Features nutzbar zu machen, war aufwändig. Wir haben deswegen ein Dashboard entwickelt und dafür die User‑Experience aus der Projektpraxis genutzt. Das Ziel war ja, dass Betreiber:innen von öffentlichen Räumen wie beispielsweise Gastronomen, die keine großen IT‑Spezialist:innen sind, mit dem Dashboard arbeiten können.


Wofür sind die Technologiestiftung Berlin und die HTW Berlin dazugekommen?

Jan und ich sind keine Experten für Lufthygiene oder Gebäudetechnik; dazu zog bei mir und Jan die Arbeit wieder an und es gab genug Themen, die wir gar nicht bearbeiten konnten. Die Technologiestiftung Berlin hat beispielsweise die ganze Akquise übernommen und die Sensoren vor Ort installiert. Die HTW Berlin begleitet das Projekt wissenschaftlich und hat dafür gesorgt, dass die Leute heute wissen, wo sie die Sensoren am besten installieren, und wie die Messwerte zu interpretieren sind. Der große Vorteil von COMo gegenüber CO2‑Ampeln sind ja die Messwerte aus der Vergangenheit und der Zugang dazu von überall.

Überhaupt habe ich sehr viel gelernt, zum Beispiel, dass ein solches Luftmonitoring, wie wir es machen, mit den wenigen Daten, die wir ermitteln, zwar für das tägliche Leben wirklich hilfreich ist und daraus sinnvolle Empfehlungen folgen können; aber für Hinweise, aus denen sich rechtliche Konsequenzen ergeben, z.B. ob ein Raum im Lockdown offen bleiben darf, ist die Datenrate und Verfügbarkeit nicht ausreichend. Da mag die Kurve noch so eindeutig sein: Es gibt doch immer wieder formale Einwände und Hürden, wenn man die Ergebnisse solcher Anwendungen für mehr als unverbindliche Hinweise nutzen will. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe mich in der Vergangenheit mit Gesundheitsapps beschäftigt, von denen viele am formalen Nachweis des Nutzens scheitern.

Ich bleibe aber dabei, dass unsere gemessenen Kurven im täglichen Leben wirklich helfen und perspektivisch auch in Schulen oder Arztpraxen das richtige Lüften erleichtern könnten.


Was würdest du dir denn insgesamt für die Zukunft des Projektes wünschen?

Ich wünsche mir mehr Betreiber:innen, die COMo für sich nutzen. Es ist doch ein gutes Gefühl, wenn es permanente Aufzeichnungen zur Luftqualität im Raum gibt. Es zeigt: Hier kümmert sich jemand um ein Thema, das für die Gesundheit wirklich wichtig ist – nicht nur wegen Corona. Das komplette COMo‑System ist Open‑Source, der Quellcode steht auf GitHub kostenfrei zur Verfügung. Ich würde mich sehr freuen, wenn einerseits weitere Kommunen, öffentliche Einrichtungen und private Institutionen ihre eigene COMo‑Instanz aufsetzen und Erweiterungen zurück ins Projekt fließen; und andererseits, wenn das Land Berlin COMo zum Monitoring seiner eigenen Gebäude nutzt und das als Aufhänger nimmt, um ein leistungsfähiges öffentliches IoT‑Netzwerk in Berlin auszurollen.


Zur Person: Der promovierte Ingenieur der Elektotechnik Ulrich Schuster kam vor fast zehn Jahren von der Robert‑Bosch GmbH nach Berlin zum Startup Ubitricity, um dort Ladeinfrastruktur zu entwickeln um Elektroautos mit mobilen Stromzählern auszustatten, so dass sie überall den eigenen Strom laden und als Batterien das Netz unterstützen können. Nach Zwischenstopps in der Gesundheits‑IT und als Berater ist er heute wieder in der Energiewirtschaft tätig. Er gehört zusammen mit Jan Weil zum Gründungsteam des Startups decarbon1ze, das individuelle Stromverträge für Wärmepupmpen, PV‑Speicher und Wallboxes ermöglichen möchte; Ziel: Anreize schaffen für Stromkund:innen, ihre Anlagen flexibel zu betreiben, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint – damit Wärme und Mobilität aus 100% erneuerbarer Energie möglich wird.